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„Trost war wichtig in vielen Situationen“ Frühjahrsgespräch mit Stadtsuperintendent Bernhard Seiger – Pandemie war Hauptthema

Die Pandemie stand im Mittelpunkt des traditionellen Frühjahrsgesprächs von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger mit Vertreterinnen und Vertretern der Kölner und der überregionalen Medien. „Wir haben einen Staat erlebt, der uns in Krisenzeiten Grenzen der Freiheit aufgezeigt hat“, sagte Seiger zu Beginn seiner einleitenden Worte.

Die Kirche habe vielleicht zu sehr darauf geachtet, den eigenen Betrieb aufrechtzuerhalten. „Es hat Beerdigungen mit zehn Leuten gegeben. Wie kann da Abschied funktionieren?“ Konfirmandinnen und Konfirmanden hätten sich nicht in ihren Gruppen treffen können. Aber die Kirche sei stark in der Seelsorge gewesen. „Das produziert keine spektakulären Bilder. Es ist eher ein stilles Tun. Trost war wichtig in vielen Situationen“, erklärte der Stadtsuperintendent.

Versehrtheit und Flut

Seiger erinnerte an einen theologischen Impuls von Thorsten Latzel, neuer Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, zu Corona: „Er verglich die Pandemie mit einer großen Flut. Wenn die zurückgeht, wird auf dem Boden sichtbar, was sie hinterlassen hat.“ Man müsse sich fragen, was seelisch mit den Menschen passiert sei. Was hätten Schülerinnen und Schüler erlebt, allein Lebende? Seiger brachte den Begriff Versehrheit ins Spiel, der ansonsten für Kriegsopfer verwendet werde. Die Menschen seien durch die Pandemie seelisch versehrt. Die Menschen hätten etwas verloren. Aber seelische Wunden könne man nicht sehen. „Kirche ist die Anwältin der Verwundeten.“

Danke

Seiger dankte ausdrücklich der jungen Generation. „Sie hat Solidarität geübt mit den vulnerablen Gruppen und sich äußerst diszipliniert an die Regeln gehalten. Und zwar aus eigener Überzeugung, obwohl das medizinisch nicht unbedingt nötig gewesen wäre, weil das Risiko der Jüngeren deutlich geringer war.“ Die junge Generation habe ganz viel mitgetragen und auch ihren Preis bezahlt. Etwa bei Abbrüchen und Schwierigkeiten in der schulischen Ausbildung. Zu oft vergessen werde im Übrigen der Dank an das medizinische Personal und die Mitarbeitenden in Betreuungseinrichtungen.

Zwei, deren Einrichtungen in Pandemie-Zeiten besonders wichtig waren, hatte der Stadtsuperintendent zum Frühjahrsgespräch eingeladen: Dr. Dorit Felsch, Leiterin der Evangelischen TelefonSeelsorge (TS) Köln, und Marcel Thelen, Leiter der Evangelischen Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region.

Evangelische Telefonseelsorge

„Wir sind immer da für alle. Das ist unser christliches Angebot“, beschrieb Felsch das Credo der TS. Gerade, wenn private Netzwerke wegbrächen, sei die TS wichtig, um private Probleme mitzutragen und mit auszuhalten. „Das kommt aus unserem Verständnis von Seelsorge. Wir leisten einen Beitrag zur psychosozialen Grundversorgung.“ Felsch betonte, dass es im ersten Lockdown keine Ausfallzeiten bei der TS gegeben habe. Zwar habe es einige ältere Mitarbeitende gegeben, denen der Dienstweg zu risikoreich gewesen sei. Deren Schichten hätten andere Mitarbeitende übernommen.

Es hätten sich auch Menschen zur Mitarbeit angeboten, die auf Kurzarbeit gesetzt worden seien. Das habe man ablehnen müssen. „Wir bilden unsere Mitarbeitenden ein Jahr aus, weil wir großen Wert auf hohe fachliche Qualität legen.“ Im Moment bestehen zwei Ausbildungsgruppen. Im Herbst, so Felsch, werde man 90 Mitarbeitende haben. 20 mehr als derzeit. Mit 26.000 Anrufen pro Jahr ist die Kölner TS, die ökumenisch getragen ist, „am Anschlag“. Mehr geht mit den technischen Voraussetzungen nicht.

Im Corona-Jahr 2020 seien Einsamkeit, depressive Stimmungen und Konflikte in Partnerschaften die beherrschenden Themen am Telefon gewesen. Der Gedanke an Suizid habe in 12,5 Prozent der Gespräche eine Rolle gespielt. In 2019 waren es 2,4 Prozent. Es hätten Menschen angerufen, die eigentlich nicht zur Klientel der TS gehörten. Etwa eine Studentin, die neu in der Stadt war und während des Lockdowns niemanden kennengelernt habe.

Evangelische Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

Marcel Thelen wusste fast das Gleiche zu berichten. Schließlich seien die Angebote der Beratungsstellen und der TS „ähnlich, aber auch unterschiedlich“. Die Angebote der Beratungsstelle seien auch niederschwellig erreichbar. „Auch zu uns kommen Menschen in Krisen. Aber wir sind nicht ständig erreichbar.“ Zu Beginn des Lockdowns habe man fast ausschließlich telefonisch beraten. Aber schnell habe man Technik angeschafft, um per Internet Hilfe zu leisten. Schließlich habe sich ein Mix bewährt aus Online, Telefon und Präsenz.

Schwer zu schaffen gemacht habe im vergangenen Jahr vor allem Jugendlichen das Wegbrechen stützender Strukturen. Sie hätten Freunde nicht treffen können, das Vereinsleben sei komplett zum Erliegen gekommen. „Die hohe Nähe zur Familie kann gut, aber auch anstrengend sein.“ Die notwendige Distanz zu den Familien sei enorm erschwert gewesen, so Thelen. Viele Eltern hätten sich die Frage gestellt: „Wie kriege ich die Jugendlichen wieder raus aus der Wohnung?“

Etliche Familien seien hoch belastet gewesen. 2020 habe man in der Beratung viele „kurze Fälle“ registriert. Das ließe den Schluss zu, dass es sich meistens um Kriseninterventionen gehandelt habe. „Wir haben mehr Wiederanmeldungen festgestellt als früher. Das kann daran liegen, dass Jugendliche bei uns gute Erfahrungen gemacht haben und wiederkommen.“ Einen deutlichen Anstieg verzeichnete man bei der Nachfrage nach Eheberatung. Da werde es noch viel nachzuarbeiten geben. „Unsere Beratung ist kostenlos. Viele Paare, die in Schwierigkeiten sind, können sich private Berater nicht leisten.“ Die Beratungsstelle stoße derzeit an ihre Kapazitätsgrenzen, sagte deren Leiter. „Wir bekommen zurzeit zehn bis 20 Anrufe pro Woche von Menschen, die wir leider nicht mit Terminen versorgen können.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

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