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„Was bedeutet die Corona-Pandemie für Kirche und Stadt?“ – Podiumsdiskussion in der Karl Rahner-Akademie

Nach achtwöchiger Unterbrechung starteten die Melanchthon-Akademie und die Karl-Rahner-Akademie ihr Programm. Und natürlich stand auch dabei wie überall das Virus im Fokus. „Was bedeutet die Corona-Pandemie für Kirche und Stadt?“

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion

Diese Frage diskutieren die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte, Susanne Beuth, der Vorsitzende des Katholikenausschusses Köln Gregor Stiels, Innenstadt-Pfarrer Dr. Dominik Meiering, Citykirchenpfarrer Markus Herzberg, Sozialdezernent Dr. Harald Rau und Soziologe Prof. Dr. Wolf-Dietrich Bukow, Senior-Professor des Forschungskollegs der Universität Siegen und emeritierter Professor für Soziologie an der Universität zu Köln. Moderiert wurde der Abend von in der Karl-Rahner-Akademie von dessen Leiter Norbert Bauer und Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie.

Was bedeutet die Corona-Pandemie für Kirche und Stadt?

„Die Stadt verspricht viel. Kultur, Wohlstand, das pralle Leben und noch viel mehr. Diese Versprechen werden für viele erfüllt, aber nicht für alle. In Zeiten von Corona sind all diese Versprechen hinfällig. Das Leben in Köln ist leise geworden. Waren eigentlich die Kirchen in den vergangenen Wochen wahrzunehmen?“, leitete Bauer den Abend ein.

Der Soziologe Bukow widmete sich seiner Profession: „Das überschaubare gemischte Quartier bietet gute Voraussetzungen für ein Miteinander gerade auch in dieser Zeit. Unsere Gesellschaft ist herausgefordert, Menschen so stark wie möglich in soziale Netzwerke zu integrieren.“ Bukow relativierte die Situation: „Was wir erleben, ist so einmalig nicht. Es hat immer Verwerfungen gegeben. Denken Sie an die Migration, den Klimawandel und jetzt die Pandemie. Alles kam für uns überraschenderweise überraschend. Irritationen dieser Art sind kognitive Herausforderungen.“

Die Rolle der Stadt

Es gebe eine Vielzahl von Menschen, die von Urbanität fasziniert seien. Die Frage sei, wie Städte die Verwerfungen organisierten. Die Partizipationsdiskussion sei längst nicht am Ende. Auch das Christentum sei in Städten entstanden und biete so etwas wie einen „religiösen Referenzrahmen“, um darüber nachzudenken, was Städte ausmacht. Es gelte, kreative Lösungen für urbane Probleme zu finden. Verschwörungstheorien haben es übrigens immer schon gegeben. „Die hausen wie die Vandalen“, nannte Bukow ein Beispiel. „Dabei haben die Vandalen garnicht gehaust. Die haben Rom ja gerade nicht zerstört, weil sie da wohnen wollten.“

Sozialdezernent Dr. Harald Rau und seine evangelische Vergangenheit

Dr. Rau offenbarte eine intensive evangelische Vergangenheit. Er ist Pfarrersohn, hat mit 20 Jahren die C-Prüfung als Kirchenmusiker abgelegt und engagiert sich als Organist und Chorleiter. Als Vorstandsvorsitzender leitete er vor seiner Zeit in Köln in Wilhelmsdorf (Landkreis Ravensburg) mit dem „Die Zieglerschen e.V.- Wilhelmsdorfer Werke evangelischer Diakonie“ ein Sozialunternehmen mit knapp 3.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Er sei als Gesundheitsdezernent für die körperliche Gesundheit der Kölnerinnen und Kölner verantwortlich, aber auch für die psychosoziale Gesundheit.

„Wir haben alte Menschen in Heimen isoliert und alleine sterben lassen“, verwies er auf die Folgen der „sozialen Distanz“. Für Rau ist „Transformation“ ein wichtiges Stichwort. „Transformation beginnt in urbanen Räumen. Wir müssen über das Klima nachdenken. Mobilität und Nachhaltigkeit ändern sich. Was macht Corona mit dieser Transformation. Als Umweltdezernent möchte ich schnelle Veränderungen.“

Kurzarbeit, Schließungen und Solidarität

Der Sozialdezernent erinnerte aber auch an aktuelle Probleme: „11.000 Betriebe in Köln haben Kurzarbeit angemeldet. Menschen wissen nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Manche Kinder holen den ausgefallen Schulunterricht ihr Leben lang nicht mehr auf.“ Rau beobachtet aber auch eine große Solidarität in Köln: „Wir nehmen all die Einschränkungen auf uns, um die Menschen mit einer Risikoveranlagung zu schützen.“ Aber es hätten sich auch Dinge verändert. „Wir im Krisenstab der Stadt sind gerade stark im Handeln und weniger stark im Diskutieren.“ Und weiter: „Die christliche Kraft liegt in der Begegnung. Gebäude sind da nachrangig. Der Dom wurde vor den Bordellbetrieben geschlossen. Wir erleben gerade eine Solidarität, die leise ist. Nicht spektakulär. Die Menschen stehen privat füreinander ein. Zum Beispiel, indem sie für andere einkaufen.“

Corona-Demonstrationen, Bildungsarbeit und der Arbeitskreis Christlicher Kirchen

Die Demonstranten, die diese Solidarität in Frage stellten, seien eine verschwindend geringe Minderheit. Für Superintendentin Beuth war die Corona-Krise wie für die gesamte Kirche eine Herausforderung, Neues zu lernen. „Kinder lernen, weil sie sich entwickeln. Erwachsene lernen, weil sie sich entwickeln müssen.“ Das beziehe sich vor allem auf die Möglichkeiten, die Digitalisierung und Internet böten. Im Arbeitskreis Christlicher Kirchen in Köln habe man es in zehn Tagen geschafft, einen Gottesdienst-Entwurf zu entwickeln und die Feier ins Netz zu stellen. Und weiter: „Wir werden uns in Zukunft wohl nicht mehr zehn Stunden auf den Weg machen, um ein halbstündiges Gespräch zu führen.“ Als ständig wechselnde Vorschriften umgesetzt werden mussten, ist der Superintendentin klar geworden, dass Kirche viele Bereiche des alltäglichen Lebens bedient. „Kultur, Bildungsarbeit, Jugendarbeit, Gottesdienste: Was geht jetzt, und was geht jetzt nicht?“

Fehlender Halt seitens der Amtskirche und die Situation an der Grundschule

Gregor Stiels sah sich in der Krise „dreigeteilt“. Als Bürger, Leiter der Gemeinschaftsgrundschule An St. Theresia in Köln-Buchheim und eben als Vorsitzender des Katholikenausschusses. Als Bürger und Vater war er froh über sein Haus mit Garten. „Wenn acht Menschen auf 60 Quadratmetern leben, ist das natürlich ungleich belastender“, erinnerte er an die prekären Verhältnisse, in denen viele Leute in sozialen Brennpunkten eben auch in Buchheim leben. Stiels war aus allen Ehrenämtern während des Lock-Downs herausgerissen und beruflich stark eingespannt. „Deshalb habe ich gedacht: Guckst Du mal, was von der Amtskirche kommt. Etwas, was Menschen zum Beispiel Halt gibt, habe ich nicht gesehen. Sicher, die Telefonseelsorge ist super. Die Caritas sowieso. Und toll war auch, dass man im Domforum anrufen konnte, wenn man einfach mal mit jemandem reden wollte. Aber ansonsten habe ich auf ein ermutigendes Zeichen lange gewartet.“

Die Grundschule, die Stiels leitet, besuchen 200 Kinder. Ihr Einzugsbereich liegt zwischen dem Wiener Platz und der Keupstraße. „Dort leben Familien, die von den bildungsbürgerlichen Schichten eher gemieden werden. Die Kinder dieser Familien bleiben in unserem Bildungssystem auf der Strecke. Unser System setzt voraus, dass die Eltern zu Hause helfen. Das schaffen viele von denen aber nicht.“ Stiels hat nach der Schulschließung Unterrichtsinhalte digital verfügbar gemacht: „Nach zwei Wochen hatten wir zehn Klicks. Davon fünf von mir und drei vom Vorsitzenden der Elternpflegschaft.“

Systemrelevante Trauerarbeit und Beerdigungen

Für Lacher im Publikum sorgte Susanne Beuth mit ihrer Frage, wie systemrelevant Pfarrerinn und Pfarrer seien. Antwort: „Sie sind systemrelevant, wenn sie mit Beerdigungen befasst sind. Stand so in den Vorschriften.“ Konkret vor Ort in der Innenstadt sind Meiering und Herzberg tätig. Der Brüsseler Platz mit St. Michael und die Schildergasse mit der Antoniterkirche waren lange Zeit nahezu menschenleer. Die Antoniterkirche war geschlossen. „Bei uns Evangelischen können die Menschen auch in der Badewanne Gotteserfahrungen machen“, erklärte Herzberg. „Bei uns auch“, warf Meiering ein. Trauergespräche hat Herzberg allerdings in der Kirche geführt.

„Das geht nicht am Telefon. Wir hatten in der Kirche einen Riesenraum für die Seelsorge mit Abstand.“ Die katholischen Kirchen waren hingegen geöffnet. Und die Pfarrer haben sich gezielt an Mitglieder ihrer Gemeinden gewandt. „Wir alle haben jeden Tag fünf Menschen aus unseren Gemeinden angerufen“, berichtete Meiering. Zudem habe es öffentliche Musik gegeben, etwa vom Turm von Groß St. Martin. Die Menschen hätten untereinander Hilfen organisiert und damit das „christliche Liebesgebot ernst genommen“.

Lebensrelevante Rituale

Es gehe eben auch darum, was lebensrelevant sei und nicht nur systemrelevant, ergänzte Herzberg. Er findet es gut, dass die Menschen handeln statt auf den Pfarrer zu warten. Meiering erinnerte an ein großes Manko in diesen Zeiten: „Die Feste des Lebens ereignen sich nicht mehr. Taufe, Firmung, Konfirmation, Trauung. Aber auch Weihnachten, Ostern, Karneval, FC. Wir sind auf der Suche nach Ritualen, die uns am Leben erhalten. Aber die suchen wir vereinzelt in kleinen Gemeinschaften. Diese Vereinzelung macht mir Sorgen.“

 

Mehr über das Programm der Melanchthon-Akademie

Interview – Diesseits von Eden (WDR 5)

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

Der Beitrag „Was bedeutet die Corona-Pandemie für Kirche und Stadt?“ – Podiumsdiskussion in der Karl Rahner-Akademie erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.